o.T.

Gemälde (Öl auf Leinwand), flüchtiges Bindemittel
Painting (oil on canvas), volatile bonding agent

Unter einer Schicht von weißem Bindemittel, das in der Restaurierung zum Schutz von Gemälden gebräuchlich ist, verbirgt sich ein Gemälde von Gustav Bolduan aus dem Jahr 1956. Zunächst ist davon gar nichts erkennbar: Die weiße Fläche bietet Raum für Assoziationen und Projektionen des Betrachters. Doch das Bindemittel löst sich Stück für Stück rückstandslos auf. Im Laufe der Zeit tritt daher das Motiv aus dem „weißen Nebel“ hervor. Erst schemenhaft, dann immer deutlicher ist das alte Rathaus der Stadt Friedrichshafen zu erkennen, in dem vor dem Zweiten Weltkrieg auch das Städtische Bodensee Museum (der Vorgänger des Zeppelin Museums) untergebracht war – ein Erinnerungsbild an eine Situation, die so längst nicht mehr existiert. Durch die temporäre Absenz des Motivs bekommt es eine zuvor nicht dagewesene Präsenz und Bedeutung. Auch wenn nach einer gewissen Zeit nichts mehr von dem Eingriff zu sehen sein wird, hat sich der Blick auf das Gemälde nachhaltig verändert. Auf einer konzeptuellen Ebene stellt sich zudem die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis vom Museum als Ort des Bewahrens von Kulturgut und zugleich Präsentierens aktueller künstlerischer Strategien.

Underneath a layer of white bonding agent, common in restoration for protecting paintings, hides a painting by Gustav Bolduan from 1956. At first, nothing is recognisable: the white surface offers space for associations and the transference of images from the viewer. Yet the binding agent gives way, piece by piece, with no trace of residue. Over time, the motif emerges from the ‘white mist’. At first shadowy, then becoming ever clearer, the old guildhall of the city of Friedrichshafen is recognisable, in which the municipal Bodensee Museum (the predecessor of the Zeppelin Museum) was also housed before the Second World War – a souvenir of a situation that has long since ceased to exist. Through the temporary absence of the subject, it gains an unprecedented presence and significance. Although there is nothing more to be seen in this intervention after a time, the view of the painting has significantly changed. On a conceptual level, the fundamental issue arises, too, of the relationship of the museum as a place for the preservation of cultural heritage yet at the same time for the presentation of contemporary artistic strategies.

 

o.T.


Kunststofffolie verschweißt, Helium, Vitrinen, 2012
Plastic film, fused; helium, display cases, 2012

In mehreren Vitrinen schweben transparente „Luftkissen“ und stellen – in abstrakt-reduzierter Weise – einen Bezug zur Grundidee der Luftschifffahrt her. Die jeweils unterschiedliche Schwebehöhe der Objekte verweist auf die Flüchtigkeit des Füllmaterials und macht deutlich, dass der jeweilige Zustand kein Bleibender ist. Anders als die Glaskuben der historischen Skulpturen, die zum Schutz der darin befindlichen Objekte dienen, werden die Glasscheiben hier zum untrennbaren Bestandteil der Arbeit: Die Vitrinen geben den Weg des Sinkens vor und lassen den Prozess des Sich-Verflüchtigens selbst Bild werden.

Transparent ‘cushions of air’ float in several display cases, producing – in a reduced abstract way – a reference to the basic concept of airship travel. The differing suspension heights of each object refer to the volatility of the filling material, indicating that the state of each object is not a permanent one. Different to the glass cubes of historical sculptures, which serve to protect the object inside, the glass panes here become an integral part of the work: the display cases predetermine the way the objects will sink and leave the process of volatilisation to become an image in itself.

 

o.T. (Ballon-Variometer I–III)

Kautschuk ausgehärtet, 2012
Vulcanised natural rubber, 2012


Wie Gruppen kleiner Figuren tummeln sich schwarze Objekte in den Vitrinen und lassen Assoziationen an Dioramen wach werden – Schaukästen, in denen man früher in Form von Modellen etwa historische Situationen nachstellte. In Farbe und Form an Luftballons erinnernd, wirken sie zugleich wie ein spielerischer und humorvoller Kommentar auf den musealen Kontext: die Präsentation der Zeppelingeschichte. Aller Voraussicht nach zerfallen die Objekte im Laufe der Zeit unter dem Einfluss des Vitrinenlichts und lassen sich so auch als Sinnbild der Orts- und Zeitgebundenheit nicht nur von Geschichte, sondern auch ihrer Deutung lesen.

Like groups of small figures, black objects cavort in the display cases, awakening associations of dioramas – showcases in which one re-enacts, for example, historical affairs in the form of models. Reminiscent in colour and form of balloons, they appear at once as a playful and humorous commentary on the museum context: the presentation of the Zeppelin history. In all probability, the objects fall in to ruins over time under the influence of the display case lighting and thus are also understood as a symbol of physical and temporal bondedness, not just from history but also from their interpretation.

 

 

Judith Kaiser und
Friederike Stanger

Friederike Stanger (*1981) und
Judith Kaiser (*1983) arbeiten
seit ihrem Studium an der
Staatlichen Akademie der
Bildenden Künste Stuttgart
künstlerisch zusammen.
Zentrales Thema ihrer gemein-
samen Arbeit ist deren zeitliche
Begrenzung. Sie entwickeln
Objekte, die sich während der
Dauer ihrer Ausstellungen ver-
wandeln, abbauen, auflösen
und auf verschiedene Weise
sichtbar machen, was entsteht,
wenn etwas verschwindet.
Dabei experimentieren die bei-
den Künstlerinnen mit unter-
schiedlichen Materialien und
suchen nach Mechanismen und
Prozessen des Verschwindens.
Durch das Zerstören einer
Sache wird etwas Neues
sichtbar: Kein dauerhaftes
Endprodukt, sondern Bilder,
die auf dem Weg zur Auflösung
entstehen – Zwischenzustände
zwischen Sein und Nichtsein.
Es gibt keinen festen Zustand –
alles besteht nur für kurze Zeit,
löst sich auf, verschwindet und
wird Erinnerung. Erinnerung an
eine „ursprüngliche“ Existenz,
die sich durch die Erfahrung
des Verschwindens selbst
verändert.

Friederike Stanger (*1981) and Judith Kaiser (*1983) have been working together as artists since their studies at the Stuttgart State Academy of Art and Design. The central theme of their joint work is its temporal limitation. They devise objects that during the time of their exhibitions transform themselves, disintegrate, dissolve and make themselves apparent in different ways, which occurs when something disappears. In this way, the two artists experiment with different materials and seek out mechanisms and processes of disappearance. By destroying a thing something new becomes apparent: no permanent end-product but images that arise on the way to dissolution – intermediate states between being and not being. There is no fixed state – everything exists only for a short time, dissolves, disappears and is a memory. A memory of an ‘original’ existence that is changed by the experience of disappearance itself.